Schiffbauindustrie fordert industriepolitische Entschlossenheit aus Brüssel und Berlin
Die deutsche Schiffbauindustrie appelliert an die Europäische Union und die Bundesregierung, ein industriepolitisches Konzept vorzulegen, das eine Rückkehr zu dem erforderlichen Wachstum ermöglicht und so der strategischen Bedeutung der maritimen Industrie gerecht wird.
Hamburg 23.04.2024: „Vom maritimen Akteur zur Seemacht“ lautet der Titel eines Papiers des Analyse- und Recherche-Teams im Generalsekretariat des EU-Rats vom Januar 2023. Darin wird das enorme strategische Gewicht der maritimen Dimension ausführlich und facettenreich beschrieben. Mit den dafür nötigen industriepolitischen Konsequenzen setzt sich das Dokument nicht auseinander. Eine Industriepolitik für die maritime Industrie hat die Europäische Kommission zuletzt 2013 vorgelegt. Doch seitdem ist die Welt nicht mehr dieselbe.
Überfällige maritime Industriestrategie
Zwei wesentlich Brüche haben die Notwendigkeit einer Neuauflage auf dramatische Weise vor Augen geführt: die Pandemie hat die Anfälligkeit einer Strategie, die sich allein auf High End-Märkte beschränkt, aufgezeigt. Der russische Angriffskrieg und die russisch-chinesische „Partnerschaft ohne Grenzen“ haben die Gefahren von strategischen Abhängigkeiten ins Bewusstsein gebracht.
Vor diesem Hintergrund begrüßt der VSM den für morgen erwarteten Beschluss des Wettbewerbsfähigkeitsrates zur Notwendigkeit einer maritimen Industriestrategie für Europa. VSM-Präsident Harald Fassmer sagte hierzu: „Wir brauchen eine schiffbaupolitische Trendwende. Maritime Souveränität kann man nicht in China bestellen.“
Effektive Rahmenbedingungen für die maritime Industrie
Eine krisenfeste und nachhaltige maritime Versorgung Europas umfasst klimaneutrale innereuropäische See- und Binnenwasserstraßenverkehre, den Ausbau erneuerbarer Energiegewinnung offshore, den Schutz kritischer Infrastruktur auf und unter Wasser, die Infrastruktur für den Import von erneuerbarem Energieträger sowie eine leistungsstarke Marineschiffbauindustrie. Dafür müssen effektive Rahmenbedingungen den erfolgreichen Betrieb von Schiffen und maritimen Anlagen ebenso wie deren Produktion gewährleisten. Diese Rahmenbedingungen müssen wir rasch gemeinsam in der EU festlegen und konsequent national implementieren. Die EU verfügt über den größten maritimen Binnenmarkt der Welt. Wir müssen ambitionierte Klimaschutzziele auch im maritimen Sektor umsetzen und wollen die enormen Ausbauziele für die Nutzung der Offshore-Windenergie erreichen. Der Weg dahin muss gemeinsam so gestaltet werden, dass die EU dabei an Unabhängigkeit und Resilienz gewinnt.
Stärken der deutschen Schiffbauindustrie nutzen
Die deutsche Schiffbauindustrie weist überwiegend eine hohe Auslastung aus. Allerdings haben Lieferkettenstörungen und der hohe Inflationsdruck der letzten Jahre auch 2023 noch deutliche Spuren hinterlassen, denn lange Projektlaufzeiten und Verträge mit festen Baupreisen sind im Schiffbau üblich. Die Eigenkapitaldecke der mittelständischen Unternehmen ist in den vergangenen Jahren abgeschmolzen.
Dennoch steht die Industrie bereit, sich den gewaltigen Anforderungen zu stellen, zu investieren und für exzellente Ausbildung von Fachkräften zu sorgen. Sie kann dies aber nicht allein. Die Bundesregierung hat aktiv für die Befassung des EU-Ministerrates mit diesem Thema geworben. Sie muss nun aber auch bei den eigenen Instrumenten diesem Anspruch gerecht werden.
Am Standort Deutschland sind unverändert zahlreiche Unternehmen aktiv, die technologisch weltweit Maßstäbe setzen. Unsere maritimen Fähigkeiten geben uns heute noch alle Handlungsoptionen. Der jahrzehntelange Substanzverzehr muss allerdings umgedreht werden, damit der Standort seine maritime Industrie und damit seine Handlungsfähigkeit wahrt.
Hauptgeschäftsführer Dr. Reinhard Lüken sagte: „Die Bundesregierung hat den Handlungsdruck verstanden und auf die Untätigkeit der Europäischen Kommission der vergangenen Jahre reagiert. Aber das kann nur der Startschuss sein. Ab jetzt gilt es, die Ärmel hochzukrempeln und neue Schritte für echte maritime Souveränität zu wagen.“
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German Shipbuilding calls for decisive industrial policy from Brussels and Berlin
Hamburg, 23.04.2024: The German shipbuilding industry is calling on the European Union and the German government to present an industrial policy concept that enables a return to the necessary growth and thus does justice to the strategic importance of the maritime industry.
"From Maritime Actor to Sea Power" is the title of a paper by the Analysis and Research Team of the General Secretariat of the EU Council from January 2023. It describes the enormous strategic weight of the maritime dimension in a detailed and multifaceted way. However, the document does not deal with the necessary industrial policy consequences that would have to follow. The last time the European Commission presented an industrial policy for the maritime industry was in 2013. But since then, the world has not been the same.
Maritime industrial strategy overdue
Two major disruptions have dramatically highlighted the need for a relaunch: the pandemic has shown the fragility of a strategy limited to high-end markets. The Russian war of aggression and the Russian-Chinese "partnership without borders" have raised awareness of the dangers of strategic dependencies. Against this background, VSM welcomes the conclusions of the Competitiveness Council on the need for a maritime industrial strategy for Europe, which are expected for Friday. VSM President Fassmer said: "We need a turnaround in shipbuilding policy. Europe’s maritime sovereignty cannot be ordered in China".
Effective framework conditions for the maritime industry
A crisis-proof and sustainable maritime service for Europe includes climate-neutral intra-European sea and inland waterway transport, the expansion of offshore renewable energy production, the protection of critical infrastructure on and underwater, the infrastructure for the import of renewable energy sources and a high-performance naval shipbuilding industry. To achieve this, effective framework conditions must ensure the successful operation and production of ships and maritime installations. We in the EU must quickly define these framework conditions together and consistently implement them at national level. The EU has the largest maritime single market in the world. We need to implement ambitious climate protection targets in maritime transport and we want to achieve the enormous expansion targets for offshore wind energy. The way forward must be shaped together in a way that strengthens the EU’s independence and resilience.
Leveraging the strengths of the German shipbuilding industry
The German shipbuilding industry is largely operating at high capacity utilization. However, supply chain disruptions and the high inflationary pressure of recent years have still left their mark in 2023, as long project durations and fixed price contracts are common in shipbuilding. The equity base of medium-sized companies has melted down in recent years. Nevertheless, the industry is ready to meet the enormous demands, to invest and to provide excellent training for skilled workers. But it cannot do this alone. The German government has actively campaigned for the EU Council of Ministers to address this issue. However, it must now also live up to this demand with its own instruments. Germany is home to many companies that set global technological standards. Our maritime capabilities still give us all the options we need. However, decades of a decline industrial base must be reversed so that Europe preserves its maritime industry and thus its ability to act. Managing Director Dr. Lüken said: "The German Government has understood the need for action and has responded to the inaction of the European Commission in recent years. But this can only be the starting point. From now on, it is important to roll up our sleeves and take new steps towards real maritime sovereignty".