Schiffbauindustrie peilt starkes Wachstum an
Hamburg 27.06.2023: Leinen los, Kurs Wachstum! Unter diesem Motto fordert der VSM die Bundesregierung und die EU auf, endlich die Umsetzung der enormen Wachstumsperspektiven für die maritime Industrie in Deutschland zu ermöglichen.
Die Aufgaben sind gewaltig: sparsame und saubere Handelsschiffe, Anlagen und Schiffe für erneuerbare Energie offshore, Rohstoffsicherung, nachhaltige Energieimport-Infrastruktur, eine leistungsstarke Marineflotte für die Landes- und Bündnisverteidigung, Sicherheit für den Schutz kritischer Infrastruktur auf und unter Wasser – die Liste ließe sich fortsetzen. Wie selten zuvor hat das zurückliegende Jahr ins Bewusstsein gerückt, welch hohen strategischen Wert die maritime Dimension hat – und wie groß unser Nachholbedarf ist. Deutschland hat verstanden, dass es Abhängigkeiten reduzieren, Risiken besser erkennen und vorbeugen und Fehler der Vergangenheit abstellen muss. Zur vielbeschworenen Resilienz gehört auch, die gewaltigen maritimen Herausforderungen in Europa selbst bewältigen zu können und Systemrivalen nicht durch Fehlanreize weiter zu stärken.
Die maritime Industrie in Deutschland muss in den nächsten 5-10 Jahren mindestens um den Faktor zwei wachsen, damit sie einen angemessenen Beitrag zu den großen Aufgaben leisten kann. Sie ist bereit, Investitionen von über einer Milliarde € vorzunehmen und wird dabei auch weiterhin überdurchschnittlich stark in die Ausbildung der Fachkräfte von Morgen investieren.
Nach Jahrzehnten der weitgehend ungehinderten Wettbewerbsverzerrung im internationalen Schiffbaumarkt kann mit dem Rückenwind hoher Bedarfe in Europa eine nachhaltige Trendwende eingeleitet werden. Das wird aber nur gelingen, wenn Deutschland bereit ist, neue Wege zu gehen.
Entscheidende Voraussetzung für Wachstum sind Aufträge. Darum müssen die Kriterien für die Auftragsvergabe neu justiert werden:
- In der Handelsschifffahrt ist der Baupreis heute das mit Abstand wichtigste Entscheidungskriterium. Angebotspreise unterhalb der Gestehungskosten trotz Rekordnachfrage sind ein klares Indiz für Marktverzerrungen - für den Schiffbaumarkt seit Jahrzehnten prägend. Dabei beeinflussen die Kapitalkosten den Preis für die Transportdienstleistung kaum und sind volkswirtschaftlich unerheblich. Dies gilt umso mehr, da niedrige Baupreise einer technisch möglichen, deutlichen Verbesserung der Energieeffizienz entgegenstehen. Ein konsequentes Flottenerneuerungsprogramm für Küsten-Verkehre innerhalb Europas, geknüpft an Wertschöpfung im Europäischen Binnenmarkt kann dieses Marktversagen kompensieren. Anreize für eine maximal energieeffiziente Flotte sind zudem die beste Vorbereitung auf die kommende Vervielfachung der Energiekosten in der Schifffahrt und machen insbesondere die mittelständige Reedereiwirtschaft zukunftsfest.
- Die Ausbauziele für die Produktion erneuerbarer Energie offshore sind nicht nur in Europa sehr ambitioniert. Für die dafür benötigten Schiffe und Anlagen sollte Europa nicht auch noch auf Drittländer angewiesen sein, sondern ausreichend eigene Produktionskapazitäten schaffen. Nur so stellen wir entsprechende eigene Fähigkeitsprofile und Verfügbarkeiten sicher. Auch hier gilt: mäßig höhere Kapitalkosten sind mit Blick auf die Stromgestehungskosten unbedeutend. Die Vorteile durch heimische Wertschöpfung, insbesondere auch sicherheitstechnischer Art, überwiegen bei weitem. Dem muss über entsprechende Rahmenbedingungen in Deutschland und auf EU-Ebene konsequent Rechnung getragen werden.
- Deutschland wird auch weiterhin Energieimportland bleiben. Den Vorschlag des Seeheimer Kreises, den staatlichen Zugriff auf entsprechende Transportkapazitäten zu sichern, um sich dadurch einer Erpressbarkeit zu entziehen, unterstützt der VSM. Der Staat ist auch heute schon Eigentümer von zivilen Schiffseinheiten, die er zum Teil durch private Reedereien betreiben lässt. Weitere staatliche Aufgaben durch eine eigene Flotte zu erfüllen ist dann sinnvoll, wenn entsprechende Tonnage nicht oder nicht zuverlässig durch Marktteilnehmer bereitgestellt wird. Japan nutzt das Modell der zeitlich befristeten „Co-Ownership“ als Instrument der Wirtschaftsförderung und Resilienzsteigerung.
- Ein besonderes Themenfeld sind die Beschaffungsprozesse für die Deutsche Marine. Bisher ist nicht festzustellen, dass die Zeitenwende die Situation mit Blick auf die Ausstattung der Marine verändert hat. Konkrete kurzfristig umzusetzende Beschaffungspläne, unter grundsätzlicher umfassender Berücksichtigung der verteidigungsindustriellen Schlüsseltechnologie Marineschiffbau und der nationalen Versorgungssicherheit, sind nicht zu erkennen.
- In den derzeit wichtigsten zivilen Märkten der deutschen Schiffbauindustrie, Kreuzfahrtschiffe und Yachten, werden die Aussichten grundsätzlich optimistisch beurteilt. Um die weltweite Technologieführerschaft deutscher Hersteller in diesen Teilsegmenten nicht zu unterminieren, dürfen sich die Rahmenbedingungen jedoch nicht verschlechtern. Insbesondere marktgerechte Finanzierungsinstrumente müssen vollumfänglich erhalten bleiben und dürfen nicht einer ideologisierten Debatte zum Opfer fallen.
- Das gilt auch für den Meeresbergbau. Deutschland hat bei der Internationalen Meeresbodenbehörde ISA eine „vorsorgliche Pause“ beim Tiefseebergbau gefordert und erklärt, bis auf Weiteres keine Anträge auf kommerziellen Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee zu unterstützen. Aus Sicht des VSM ist die Nutzung von Rohstoffen aus dem Meer unvermeidlich, um die Abkehr von fossiler Energie zu realisieren. Wer die Meere schützen will, muss jetzt für möglichst hohe technische Nachhaltigkeitsstandards sorgen, die insbesondere deutsche Unternehmen entwickeln.
Die Perspektiven für die deutsche Schiffbauindustrie sind hervorragend. Ein klarer Kurs Richtung Wachstum steht an. Ist die Politik bereit für „volle Kraft voraus