Fokus auf Kurs Zukunft

Montag, 27. Dezember 2021 - 13:15

VSM Jahresrückblick 2021

Hamburg 27.12.2021: In Deutschland markiert das Jahr 2021 die Wegmarke der zu Ende gehenden Ära Merkel und den Beginn der Amtszeit des neuen Bundeskanzlers Scholz. Sicher wird leider auch die erschreckend flache Lernkurve in der Pandemiebekämpfung in Erinnerung bleiben.

Letzteres hat für zahlreiche Branchen nachhaltige Auswirkungen, so auch für die deutsche Schiffbau- und Meerestechnikindustrie. Die pandemische Lage setzt weiterhin vielen Unternehmen zu. Infektionsschutzmaßnahmen sind kostenträchtig, die international aus dem Takt geratenen Lieferketten führen zu Produktionsverzögerungen, Reisebeschränkungen erschweren den Vertrieb und behindern den Kundenservice.

Kreuzfahrtschiffbau

Last not least, die Kreuzfahrtbranche kann das zweite Jahr in Folge nur einen Bruchteil der Vor-Corona-Umsätze erzielen. Erfreulicherweise ist es den großen Kreuzfahrtreedereien gelungen, sich am Kapitalmarkt mit ausreichender Liquidität zu versorgen, sodass keine Auftragsstornierungen erforderlich wurden. So kann durch Auftragsstreckung zeitlicher Spielraum geschaffen werden, der eine Anpassung an die veränderte Marktlage erleichtert. Allerdings ist die erhoffte schwarze Null für die meisten Kreuzfahrtreeder in diesem Jahr noch nicht realistisch. Die enorme Verschuldung von fast 60 Mrd. $ allein bei den großen Drei der Branche lassen größere Bestellungen neuer Schiffe in den kommenden Jahren nicht erwarten.

Daraus resultieren schwierige Aussichten für die in diesem Marksegment besonders komplexe Wertschöpfungskette. In der öffentlichen Wahrnehmung stehen dabei oft die Werften im Vordergrund. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die negativen Beschäftigungseffekte in der nachgeordneten Wertschöpfungskette um ein Vielfaches größer sind. Es muss jetzt darum gehen, den Substanzerhalt und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit in den Fokus zu nehmen. In dieser Hinsicht sind kurzfristige Anpassungen nötig, um den langfristigen Erfolg nicht zu verspielen. Dabei isoliert auf eine möglichst hohe Auslastung der direkten Werftbelegschaft zu drängen, zeugt von Kurzsichtigkeit und wird der komplexen Lage nicht gerecht.

Ausbildung und Beschäftigung

Leider sorgt die große Unsicherheit hinsichtlich der Zukunftsperspektiven einer Reihe von Werft- und Zulieferstandorten in Deutschland bei vielen Beschäftigten für bedrückende Umstände. Rückläufige Bewerberzahlen bei den schiffbaulichen Studienzweigen belegen, dass diese Unsicherheit auch bereits auf die Fachkräfteentwicklung von morgen Auswirkungen haben kann.

Wachstumsmärkte

Dabei gibt es durchaus auch positive Entwicklungen. Die stark gestiegenen Bestellungen in Asien vor allem in Containersegment beleben die Nachfrage für wichtige Segmente der Zulieferindustrie. Auch im Markt für Megayachten und Behördenschiffe konnten neue Aufträge unter Dach und Fach gebracht werden. Die Auslastung der Reparaturwerften war im zurückliegenden Jahr zufriedenstellend.  

Klimaschutz und maritime Energiewende

Zusätzlich gibt die Aussicht auf künftige Bedarfe Anlass für Optimismus, denn 2021 hat noch einmal unmissverständlich klar gemacht, dass kein Weg an einer konsequenten und zügigen maritimen Energiewende vorbeiführt. Während noch im Frühjahr dieses Jahres von einigen die Position vertreten wurde, die Schifffahrt habe mit der schon 2018 verabschiedeten IMO-Klimagas-Strategie bereits die wesentlichen Hausarbeiten erledigt, besteht inzwischen kein Zweifel mehr, dass eine Absenkung der Klimagasemissionen um nur 50% bis 2050 für die Schifffahrt nicht reichen wird. Zu dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 bekennen sich inzwischen auch zahlreiche Reederverbände, einschließlich des VDR. Leider konnte die 77. Tagung des Marine Environment Protection Committee der IMO (MEPC 77) im November keine ermutigenden Signale in diese Richtung setzen. Der VSM, der als akkreditierte Institution das Vertretungsmandat für die europäischen Schiffbauindustrie ausübt, ist aktiv in die Verhandlungen einbezogen.

Auch die regulatorischen Entwicklungen zum Klimaschutz auf europäischer Ebene sind Gegenstand intensiver Arbeit im VSM. Der Green Deal und das sog. „Fit for 55“ Paket enthält eine Fülle von Maßnahmen, die zwar viele gute Ansätze, aber auch erhebliche sachliche Mängel und Inkonsistenzen aufweisen. Gerade im Bereich der in Arbeit befindlichen EU-Taxonomie-Regelungen trägt die Industrie schwerste Bedenken vor. Als eines der größten je begonnenen regulatorischen Initiativen der EU werden Berichtspflichten für Unternehmen etabliert, die anhand eines entsprechenden Klassifikationssystems letztlich zu einer Umlenkung von Kapitalflüssen in nachhaltige Investitionen führen sollen. Leider wurden die Strukturen und Prozesse der Taxonomie so aufgesetzt, dass sachliche bzw. technische Hinweise der Industrie nicht berücksichtigt wurden. Die Kommission hat inzwischen auf die massive berechtigte Kritik reagiert: Künftig werden in der entsprechenden Fachgruppe, der sog. Taxonomie-Plattform, Vertreter der maritimen Wirtschaft beteiligt. Dem VSM kommt dabei eine zentrale Rolle zu, da wir das Vertretungsmandat hierfür übertragen bekommen haben.

Insgesamt ist zu unterstreichen, dass entschlossener Klimaschutz nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit dringend geboten ist. Wir betrachten ihn auch als Megachance für die maritime Wirtschaft am Standort Deutschland. Nahezu die gesamte bestehende Flotte muss umgebaut, Stromerzeugung offshore massiv ausgebaut und eine effektive Infrastruktur für klimaneutrale Kraftstoffe aufgebaut werden. Unsere exzellenten Ingenieure haben dafür bereits Antworten und der neue Handlungsdruck verwandelt viele dieser Antworten in marktfähige Produkte. Entscheidend ist, die erforderlichen Investitionen jetzt zügig auf den Weg zu bringen. Um hier die großen Unsicherheiten hinsichtlich Verfügbarkeit und Kosten klimaneutraler Kraftstoffe sowie des regulatorischen Rahmens zu überwinden, sind jetzt entsprechende Anreize nötig.

Politische Rahmenbedingungen

Vor diesem Hintergrund ist es besonders begrüßenswert, dass sich die Koalitionäre schnell einigen konnten und ambitionierte Ziele vereinbart haben. Für die Industrieverbände der maritimen Wirtschaft wie für alle anderen Branchen ist dies ein wichtiger Meilenstein, auf den viele Aktivitäten der zurückliegenden zwölf Monate ausgerichtet waren. Bereits zu Jahresbeginn stand die inhaltliche Vorbereitung der 12. Nationalen Maritimen Konferenz (NMK) im Vordergrund. Unter erschwerten Corona-Bedingungen ist es dem Team unter Führung des Koordinators der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft, Norbert Brackmann, MdB, gelungen, eine der besten digitalen Veranstaltung der Branche durchzuführen. Ein so großes, hochkarätiges Publikum zwei Tage an Bord zu halten, und dabei trotz aller Herausforderungen auch inhaltlich auf Zukunftschancen auszurichten, ist 2021 nicht Vielen gelungen. Die NMK war ein großartiger Erfolg und hat die wesentlichen „maritimen“ Handlungsanforderungen für die kommende Legislaturperiode entwickelt. Die inhaltlichen Ziele des VSM trafen dabei bei allen Parteien der Mitte auf breite Unterstützung, was sich nun auch im Koalitionsvertrag widerspiegelt.

Wichtige Maßnahmen konnten allerdings auch noch vor Ende der 19. Legislaturperiode auf den Weg gebracht werden. Allen voran eine Reihe sehnlichst erwarteter Beschaffungsvorhaben für die Deutsche Marine. Mehr als sieben Milliarden Euro, wurden kurz vor der Sommerpause durch den Haushaltsauschuss auf den Weg gebracht. Die freigegebenen Mittel umfassen sowohl wichtige Modernisierungsmaßnahmen und Obsoleszenz-Beseitigungen in der fahrenden Flotte als auch Neubeschaffungen. Dazu zählen etwa zwei modernste Marinebetriebsstoffversorger, drei Flottendienstboote und zwei U-Boote des Typs U212 CD im gemeinsamen Projekt mit Norwegen sowie vier Erprobungs- und Unterstützungsfahrzeuge für die WTD71. Diese Beschlüsse leisten wichtige Beiträge für unser aller Sicherheit, aber auch für die Sicherung eigener industrieller Fähigkeiten, ohne die die Landesverteidigung nicht zu leisten ist. Viele strukturelle Fragen im Zusammenhang mit der Beschaffung nicht nur neuer Einheiten, sondern auch mit der  Instandhaltung der bestehenden Flotte sind damit allerdings noch nicht gelöst. Sie bleiben eine drängende Aufgabe für die neue Hausleitung im Verteidigungsministerium. Das Bekenntnis der deutschen Marineschiffbauindustrie zu Ihrer Verantwortung als integraler Bestandteil der Verteidigungs- und Sicherheitsarchitektur des Landes haben wir im Rahmen der 12. NMK noch einmal unterstrichen. Darauf werden wir auch in der neuen Legislaturperiode aufbauen.

Auch wenn in der materiellen Dimension nicht vergleichbar, wurden auch bei den Förderprogrammen für die maritime Industrie 2021 wichtige Fortschritte erzielt. So sind dieses Jahr mehrere neue Förderprogramme für die maritime Wirtschaft in Kraft getreten, wie z.B. die neuen Förderprogramme für die Binnen- und Küstenschifffahrt mit über 45 Mio. € p.a. oder das Förderprogramm für neue LNG-Bunkerschiffe und das Förderprogramm zur Förderung von Landstromanlagen mit etwa 50 bzw. 17,5 Mio. € pro Jahr. Bei der Schaffung und Ausgestaltung dieser Förderprogramme hat der VSM sich mit großem Engagement eingebracht. Im Juni konnte außerdem auf europäischer Ebene nach jahrelanger Vorarbeit mit intensiver Beteiligung des VSM das Memorandum of Understanding der Zero Emission Waterborne Transport Partnership unterzeichnet werden. 530 Mio.€ an zusätzlichen Mittel bis 2027 wurden dadurch für die Zielsetzung der Partnership gesichert. Das seit Anfang 2020 verbandseigene Center of Maritime Technologies (CMT) unterstützt die VSM-Mitglieder dabei, die zusätzlichen Chancen optimal zu nutzen und ihre Lösungen gemeinsam mit europäischen Partnern voranzutreiben. Kurz vor Jahresende findet auf Einladung des BMWi erneut eine Statustagung "Maritime Technologien" statt, die den Stand der Forschungsaktivitäten reflektiert.

EU-Handelspolitik

Ein anderes sehr wichtiges Thema auf europäischer Ebene betrifft die Handelspolitik, für das die EU-Institutionen gemäß EU-Vertrag federführend zuständig sind. Auch auf diesem Feld sind grundlegende Entwicklungen im Gange. Nicht nur vor dem Hintergrund der Pandemie wuchs die Erkenntnis, dass zunehmende Abhängigkeiten von wichtigen Gütern auch aus Ländern, die als systemische Rivalen einzuordnen sind, festzustellen sind. Das Stichwort der „strategischen Autonomie“ hat stark an Bedeutung gewonnen. Wie im Rahmen eines Weißbuchs angekündigt, hat die Europäische Kommission inzwischen einen Verordnungsvorschlag für ein zusätzliches Instrumentarium gegen Subventionen in Drittstaaten vorgelegt. Der Handelsausschuss unseres europäischen Verbandes SEA Europe unter Führung des VSM hat diesen Prozess intensiv begleitet. Das Beispiel des Schiffbaus, für den bestehende WTO-Regeln keinen effektiven Schutz gegen umfänglichste Wettbewerbsverzerrungen bieten, findet dabei an vielen Stellen explizit Erwähnung, ohne allerdings bisher adäquate Lösungen zu entwickeln. Hier besteht also weiterhin intensiver Handlungsbedarf.   

Aktivitäten unter Pandemiebedingungen

Die praktische Arbeit wird dabei durch die Pandemie nicht erleichtert. Gerade für das umfangreiche Arbeitsprogramm an europäischen Themen entfällt der persönliche Austausch fast vollständig. Aber auch auf nationaler Ebene behindern die coronabedingten Beschränkungen unsere Arbeit spürbar. Der Parlamentarische Abend des VSM in Berlin, eine langjährig bestens etablierte Veranstaltung, musste dieses Jahr entfallen und wird auch 2022 nicht zum gewohnten Datum Ende Januar stattfinden können. Da der direkte Austausch mit den Abgeordneten aber gerade zu Beginn der neuen Legislaturperiode für uns einen besonders hohen Stellenwert hat, werden wir hierfür einen Ausweichtermin im Frühjahr anbieten. Ähnliches gilt für Buy Blue, unser erfolgreiches Speed-Dating Format, das Einkäufer mit dem Vertrieb zusammenbringt. Auch hier gilt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!

Doch trotz der widrigen Umstände – und das freut uns ganz besonders – konnten wir auch 2021 weiteren Mitgliederzuwachs verzeichnen. Im Laufe des Jahres sind zwölf Unternehmen dem VSM beigetreten und nun Teil der starken Gemeinschaft in Schiffbau und Meerestechnik.

Der Verband für Schiffbau und Meerestechnik e. V. ist die politische und wirtschaftliche Interessenvertretung der deutschen maritimen Industrie mit komplexen Wertschöpfungsketten in diversen maritimen Marktsegmenten. Weitere Einzelheiten zur Entwicklung der deutschen maritimen Industrie finden Sie im Internet unter http://www.vsm.de.