Jahresrückblick VSM – Deutschland kann Meer!

Dienstag, 12. Januar 2021 - 13:15

 

Die Corona-Krise hat die Schiffbauindustrie kalt erwischt. Nun sind kluge Konzepte gefragt.

Hamburg Dezember 2020: Der VSM hat in den letzten Jahren immer wieder auf die schwierige Lage im Weltschiffbau hingewiesen und auf den Umstand, dass sich Deutschland und Europa erfolgreich von dem schon seit 2010 andauernden negativen Trend abkoppeln konnten. Die Konzentration auf hochkomplexe Marktsegmente war der Schlüssel zu diesem beeindruckenden Erfolg.

Mit COVID-19 nahm diese Dynamik nun eine volle Kehrwende. Der Kollaps eines der profitabelsten Marktsegmente der maritimen Wirtschaft, des Kreuzfahrttourismus, übertrifft die Worstcase-Szenarien aller Risikoanalysten.

Europäischer Kreuzfahrtschiffbau hart getroffen

Im zivilen Schiffbau in Europa sind Kreuzfahrtschiffe mit einem wertmäßigen Anteil von über 80% des Auftragsbuchs der dominante Umsatzfaktor. Gemeinsam mit einer leistungsfähigen und innovativen Schiffbauindustrie konnte die Branche Jahr ums Jahr immer wieder mit faszinierenden Neuheiten begeistern. Auch in Sachen Klima- und Umweltschutz gingen Kreuzfahrtschiffe als die Pioniere der kommerziellen Schifffahrt mutige Schritte. Mit Milliardeninvestitionen verfolgte man konsequent ambitionierte Emissionsreduktionsziele. In Anbetracht des enormen Kapitalverzehrs in 2020, der schon jetzt zweistellige Milliardenbeträge erreicht hat, werden diese Ziele nun noch mehr zu einer Herkulesaufgabe, die sich durch die gesamte Wertschöpfungskette zieht.

Zwar strahlt die inzwischen konkret gewordene Aussicht auf Impfung als helles Licht am Ende des Tunnels. Aber die Fahrt ist noch lang. Es wird dauern, bis die finanziellen Einbußen der Kreuzfahrtreedereien hinreichend aufgefangen sind, um neue Investitionen ins Auge fassen zu können. Eine schnelle Erholung des Schiffbaumarktes im Kreuzfahrtbereich ist darum unrealistisch. Dies betrifft die gesamte komplexe Wertschöpfungskette. Darum ist die Streckung des Bauprogramms und die Anpassung von Produktionskapazitäten eine zwingende Notwendigkeit. Immerhin konnten Stornierungen von Aufträgen bisher vollständig vermieden werden. Auch das von Deutschland initiierte, aber von allen europäischen Exportgarantieagenturen gemeinsam veranlasste Schuldenmoratorium für die Kreuzfahrtreedereien hat dabei einen wichtigen Beitrag geleistet.

Natürlich gibt es viele weitere Marktsegmente, die für deutsche Unternehmen in Schiffbau und Meerestechnik wichtig sind. Dazu zählen nicht nur Yachten, Fähren, komplexe Spezialschiffe wie Forschungsschiffe und andere Fahrzeuge für den vielfältigen Markt ziviler und vor allem militärischer Produkte für staatliche Auftraggeber, sondern auch alle frachttragenden Schiffstypen, in denen deutsche Ingenieurskunst und Maschinen und Anlagen aus heimischer Produktion verbaut werden.

Prekäre globale Auftragslage

Die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf die Frachtschifffahrt entwickelten sich im Verlauf des Jahres weit weniger dramatisch, als zunächst befürchtet. In der Containerschifffahrt stiegen die Frachtraten nach kurzer Delle zum Jahresende sogar auf Werte wie zuletzt vor fast 10 Jahren. Bei der Bestellung neuer Tonnage hielt sich der Markt dennoch weltweit stark zurück. Die Unsicherheiten in Bezug auf die Konjunkturentwicklung, aber auch geopolitische Themen wie handelspolitische Spannungen lassen die Reeder zögern. Zusätzlich dürften viele Reeder noch keinen klaren Kurs in Sachen Emissionsreduktion haben, der jedoch mit jeder Bestellung fixiert werden muss. So gingen die Neubauaufträge in den ersten neun Monaten 2020 gegenüber dem bereits schwachen Vorjahreszeitraum noch einmal um 36% (gemessen in cgt) zurück. Damit werden nun im fünften Jahr in Folge weltweit nur halb so viele Einheiten bestellt wie abgeliefert.

Gesamte Wertschöpfungskette betroffen

Viele deutsche Hersteller von Zulieferungen für den Schiffbau genießen höchste Reputation weltweit. Die angebotene Produktpalette deckt fast die gesamte Wertschöpfungskette in der breiten Vielfalt maritimer Aktivitäten ab. Viele Produkte lassen sich zudem auch in landgebundenen industriellen Anwendungen einsetzen, sodass der Einfluss der Schiffbaukonjunktur bei den rund 2.800 Unternehmen der maritimen Industrie sehr unterschiedlich ausfällt. Die ausgeprägte Nachfrageschwäche geht aber an zahlreichen Unternehmen nicht spurlos vorbei. Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass 50-60% der gesamten Umsatzerlöse der deutschen maritimen Zulieferunternehmen in Europa erzielt werden. Dem Markt also, der besonders heftig von der Pandemie betroffen ist.

Beschleunigte Beschaffung öffentlicher Aufträge & Anreize für private Besteller

Kein Wunder also, dass an Aufträge für staatliche Auftraggeber große Hoffnungen geknüpft werden. Durch Bestellungen haben staatliche Stellen die Möglichkeit, unmittelbar auf die Konjunktur in der Schiffbauindustrie einzuwirken. Und da die Einheiten ohnehin gebraucht werden, sind mit einer beschleunigten Beschaffung noch nicht einmal zusätzliche Belastungen für den Steuerzahler verbunden. Die behördlichen Beschaffungsstrukturen können aber nur in beschränktem Umfang zusätzlich Projekte schultern, sodass auf diesem Weg nur ein kleiner Teil des Nachfrageausfalls aufgefangen werden kann. Um größeren Flurschaden in der Industrie zu vermeiden, sind daher zusätzlich geeignete Anreize für privatwirtschaftliche Besteller unbedingt nötig! Dadurch lassen sich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Konjunktur würde angekurbelt und es kämen schnell mehr emissionsarme Schiffe in Fahrt.

Erste Ansätze in diese Richtung werden Anfang 2021 umgesetzt. Dazu zählen Förderprogramme für die Binnen- und auch die Küstenschifffahrt, eine Aufstockung des LNG-Förderprogramms sowie eine zusätzliche Unterstützung für den Bau von LNG-Bunkerschiffen. Von der noch nicht bekannten Ausgestaltung der Förderprogramme wird es aber abhängen, in welchem Umfang dadurch auch tatsächlich Wertschöpfung in Deutschland generiert werden kann. Ein Verzicht auf angemessene, verpflichtende Wertschöpfungsanteile im Inland wie bisher wäre in diesem Zusammenhang fatal.

Aufstockung der F&E-Mittel – Wertschöpfung in Deutschland

Aufgestockt wurden auch die Mittel für Innovation, Forschung und Entwicklung. Die große Anzahl eingereichter Fördervorhaben zeigt, wie wichtig diese Instrumente sind. Nicht nur, um die Technologieentwicklung zu unterstützen, sondern auch um Ingenieurkapazitäten in Zeiten schwacher Nachfrage sinnvoll und zukunftsorientiert zum Einsatz zu bringen.

Anfang 2020 wurde das Center of Maritime Technologies (CMT) als neue gemeinnützige Gesellschaft in den VSM integriert. Die 14 Mitarbeiter des CMT können nun allen Mitgliedsunternehmen aktive Unterstützung bei FEI-Themen, insbesondere bei EU-Förderprojekten anbieten. Sehr erfreulich ist auch der Erfolg der Bemühungen des VSM und seiner europäischen Partner bei der Gestaltung der Zero-Emission-Waterborne-Transport-Partnership. Auch Dank tatkräftiger Unterstützung durch das Deutsche Maritime Zentrum (DMZ) und das maritime Referat im BMWi befindet sich die neue Partnership auf der Zielgraden und wird die bisher verfügbaren F&E-Mittel mehr als verdoppeln.

Gerade wegen der herausfordernden Marktbedingungen kommt dem DMZ jetzt eine besonders wichtige Rolle zu. Durch seinen sektorübergreifenden Ansatz werden wichtige Impulse für die Stärkung des maritimen Standorts Deutschlands gegeben.

Klimafreundliche Schifffahrt – die EU ist gefordert

Die Klimakrise stellt die Menschheit langfristig vor deutlich größere Herausforderungen als die aktuelle Gesundheitskrise. Deshalb muss auch die Schifffahrt noch entschlossener ihren Beitrag leisten. Europa als maritimes Kraftzentrum und als der wohl maritimste aller Kontinente sollte darum jetzt entschlossen vorangehen und zeigen, dass klimafreundliche Schifffahrt und wirtschaftlicher Erfolg gleichzeitig möglich sind.

Große Bedeutung kommt hierbei der „Nationalen Wasserstoffstrategie“ zu. Der deutsche Fahrplan in eine klimaneutrale Zukunft beinhaltet wichtige maritime Maßnahmen für die Förderung von FuE zu Antriebstechnologien und Treibstoffen sowie die zugehörige Entwicklung von Vorschriften und Normen. Allerdings wird bisher nicht die gesamte maritime Prozesskette adressiert, die von der Erzeugung über den Transport bis zur Nutzung von grünem Wasserstoff und klimaneutralen synthetischen Treibstoffen reicht. Es fehlen konkrete Fördermaßnahmen und maritime Leuchtturmprojekte für den Wasserstoffimport per Schiff, den Aufbau einer maritimen Tankinfrastruktur und eine ganzheitliche Investitionsförderung für klimaneutrale Schiffe.

Entschlossen fairen Wettbewerb durchsetzen

Auch bei der internationalen Handelspolitik spielt die EU eine zentrale Rolle. Als Branche von hoher strategischer Bedeutung ist die Schiffbauindustrie seit jeher einem hohen Maß an staatlichen Interventionen und Marktverzerrungen ausgesetzt. Mit der massiven Expansion Chinas auch im Schiffbau verschärfte sich diese Problematik noch einmal erheblich. Statt der anfänglichen Euphorie über das chinesische Wachstum auch unter deutschen Exporteuren ist inzwischen überwiegend Ernüchterung eingekehrt. Auch die EU erkennt in China längst nicht mehr nur einen Handelspartner, sondern auch einen systemischen Rivalen. Eine im Juli 2020 erschienene Studie des Washingtoner Center for Strategic International Studies hat die chinesischen Subventionen in Schiffbau und Schifffahrt zwischen 2010 und 2018 auf 132 Mrd. US-$ beziffert.

Im Juni wurden im Rahmen eines EU-Weißbuchs zu Subventionen in Drittstaaten die Schaffung geeigneter Gegenmaßnahmen initiiert. Auf die Situation im Schiffbau wird dabei besonders eingegangen, da Schiffe nicht wie andere Güter dauerhaft importiert werden und darum zum Beispiel WTO-Regeln nicht greifen. Konkrete Vorschläge werden von der EU-Kommission hierzu Mitte 2021 erwartet.  

Überwassermarineschiffbau ist deutsche Schlüsselindustrie

In der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist die europäische Zusammenarbeit noch nicht vergleichbar weit entwickelt. Der EU-Binnenmarkt, an dessen Vollendung seit über sechs Jahrzehnten gearbeitet wird, schließt Rüstungsgüter auch heute noch nur eingeschränkt ein. Für die meisten EU-Mitgliedsstaaten gilt unverändert, dass sie ihre Armeen im Rahmen ihrer heimischen industriellen Fähigkeiten mit Ausrüstung aus inländischer Produktion versorgen. Dabei ist die Europäisierung der Rüstungsbeschaffung ein probates Mittel, um Synergien zu heben und deutliche Effizienzsteigerungen zu realisieren. Allerdings müssen zuvor Hausarbeiten erledigt werden; denn Effizienzsteigerungen werden nur erzielt, wenn gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet werden. Da dies insbesondere bei Marineschiffen heute zweifelsfrei nicht der Fall ist, hat die Bundesregierung Anfang des Jahres endlich den seit Jahren immer wieder getroffenen Beschlüssen des Deutschen Bundestags Rechnung getragen und auch den Überwassermarineschiffbau zur Schlüsseltechnologie erklärt. Auf dieser Grundlage sind nun zukünftig europäische Ausschreibungen bei Beschaffungsvorhaben der Marine nicht mehr erforderlich.

Die Flotte der Deutschen Marine ist an vielen Stellen völlig überaltert und weist dringenden Nachholbedarf auf. Insgesamt sind die gegenwärtigen Beschaffungsprozesse in der Summe allerdings alles andere als optimal, um eine angemessene Versorgung der Deutschen Marine mit seegängiger Ausrüstung und deren Verfügbarkeit durch effektive Instandsetzungsprozesse zu gewährleisten. Erschreckend ist insbesondere, dass in der Problemanalyse seit Jahren kein Erkenntnismangel herrscht, während die Problemlösung trotzdem kaum Fortschritte zu machen scheint.

Das gilt in gewisser Weise auch für den politischen Rahmen. Wir wollen, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt übernimmt. Wir erkennen die Gefahren, die insbesondere von autoritär geführten, expansiven Staaten ausgehen. Eine optimale Ausrüstung der Bundeswehr wird darum von einer großen Mehrheit der Menschen in Deutschland befürwortet. Doch die Industrie, die genau das gewährleisten soll, wird unvermindert kritisch hinterfragt, Rüstungsausgaben werden gegen sozialpolitische Maßnahmen aufgewogen.

Verantwortung übernehmen – Deutschland kann Meer!

In der Krise zeigt sich die Qualität der Führung. Deutschland hat 2020 insgesamt ein gutes Bild abgegeben. Die Politik hat entschlossen gehandelt. Die Unternehmen haben Verantwortung übernommen. Im Vergleich zu den meisten Ländern „des Westens“ sind wir bisher recht solide durch diese gewaltige Herausforderung gekommen. Natürlich lässt sich vieles hinterfragen, könnte manches vielleicht noch überzeugender gestaltet werden. In Anbetracht der gewaltigen Herausforderungen und Unwägbarkeiten möchten wir es zum Jahreswechsel aber nicht versäumen, allen staatlichen Akteuren für ihren Einsatz und ihr oft außerordentliches Engagement herzlich zu danken.

Danken möchten wir auch all unseren Mitgliedern und Freunden. Der VSM hat sich im Krisenjahr 2020 trotz aller Widrigkeiten positiv entwickelt und wir freuen uns sehr, dass unsere Arbeit in den vergangenen zwölf Monaten 40 weitere Unternehmen zu einer Mitgliedschaft bewogen hat. Der Branchenzusammenhalt war nie so wichtig wie heute. Gemeinsam sagen wir in voller Überzeugung: Deutschland kann Meer!

 

Der Verband für Schiffbau und Meerestechnik e. V. ist die politische und wirtschaftliche Interessenvertretung der deutschen maritimen Industrie mit komplexen Wertschöpfungsketten in diversen maritimen Marktsegmenten. Weitere Einzelheiten zur Entwicklung der deutschen maritimen Industrie finden Sie im Internet unter http://www.vsm.de.