VSM Verbandsnachrichten 84. Ausgabe/Dez. 2023

VSM Verbandsnachrichten 84. Ausgabe/Dez. 2023

Liebe Leserinnen und Leser,

Dr. Reinhard Lüken

was für ein Trauerspiel! Die aktuellen Wirrungen in der Haushaltspolitik, ausgelöst durch das für die Verantwortlichen keineswegs völlig unerwartete Verfassungsgerichtsurteil, sind ein politisches Desaster. Sie erschüttern das ohnehin schon schwache Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates. Nachdem das Gericht nicht nur Änderungen für die Zukunft verlangt, sondern auch das bestehende Gesetz für den laufenden Haushalt für nichtig erklärt hat, ist die Einordnung als Staatskrise aus meiner Sicht keine Übertreibung. Die dadurch notwendig gewordene Haushaltsperre macht vielen Vorhaben aus dem Nichts einen Strich durch die Rechnung.

„Es gibt keinen Grund zur Panik. Rechtsverpflichtungen werden ohnehin eingehalten.“ ruft der Finanzminister der Wirtschaft zu. Wer im Vertrauen auf Aussagen der Regierung und der Verwaltung notwenige Förderungen oder Entlastungen fest eingeplant hat, weil der Förderbescheid nur noch Formsache sei, wird das etwas anders sehen. Leider haben wir davon eine ganze Reihe auch in unserer Branche.

Der Kanzler gibt sich derweil mal wieder wortkarg. Dabei hat er selbst als Finanzminister den nun krachend gescheiterten Plan A veranlasst. Es werde noch in diesem Jahr daran gearbeitet, dass Bundesregierung und Bundestag alle Beschlüsse zum Haushalt 2024 schnell treffen könnten. Will heißen: Wir fangen dann schon mal an, Plan B zu erarbeiten. Toll…! „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.“ Das hatten wir uns irgendwie anders vorgestellt.

Rekordsteuereinnahmen und die niedrigste Staatsschuldenquote der G7 zeigen: Deutschland hat weder ein Einnahme- noch ein Schuldenproblem. Was wir brauchen, sind Investitionen, und zwar jede Menge! Bundeswehr, Infrastruktur, Digitalisierung, Schulen und Universitäten, Energiewende – der Investitionsstau bremst das Land aus. Die Industrietransformation und die Sicherstellung der technischen Souveränität kommen obendrauf. Je länger wir zögern, desto höher fällt die Rechnung aus. Gerade die jungen Leute machen Generationengerechtigkeit keineswegs allein an der Haushaltslage fest.

Dass die Schuldenbremse so nicht praktikabel ist, müsste doch eigentlich längst politischer Konsens sein. Die Einrichtung von Schattenhaushalten ist seit ihrer Einführung unabhängig von der Parteifarbe vielfach praktiziert worden. Sollte die letztlich platte und ziemlich willkürliche Fixierung von 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts als Obergrenze für die Neuverschuldung wirklich Verfassungsrang genießen? Bloß weil das Parlament sich offenbar selbst nicht traut? Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen ist ja prinzipiell keine schlechte Idee, kann man aber auch ohne Schuldenbremse. Man nennt das Regierungshandeln, und das wird am Ende der Legislaturperiode mit einem Wahlergebnis bewertet.

Die Bürger erwarten in erster Linie einen handlungsfähigen Staat, der die Probleme angeht, der spürbar die nötigen Veränderungen bewerkstelligt. Die Zeitenwenderede des Kanzlers vermittelte diesen Eindruck. Das als Deutschlandtempo verkündete schnelle Verfahren für die LNG-Terminals ebenso. Doch was ist davon geblieben? Die Wahlergebnisse in den Niederlanden sollten alle seriösen Parteien auch in Deutschland alarmieren. Bei dem Chaos darf sich keiner wundern, dass die Sehnsucht nach starker Führung und den scheinbar einfachen Lösungen wächst. Die Leute sagen sich, schlimmer kann‘s nicht werden.

Oh doch, es kann, die Welt ist leider voll davon.

Herzliche Grüße

Dr. Reinhard Lüken

(VSM-Hauptgeschäftsführer)