VSM Verbandsnachrichten 71. Ausgabe

VSM Verbandsnachrichten 71. Ausgabe

Liebe Leserinnen und Leser,

Dr. Reinhard Lüken Not macht erfinderisch - Corona hat uns gelehrt, völlig neue Weg zu gehen, Denkmuster aufzubrechen. Dieses Momentum müssen wir für die maritime Industrie und für den gesamten maritimen Wirtschaftsstandort Deutschland nutzen!

Das kurzfristige Ratenhoch in der Containerschifffahrt kann nicht über die schwache Verfassung des maritimen Wirtschaftsstandorts Deutschland hinwegtäuschen. Die Ursachen dafür liegen weit vor 2020. Ja, der schlagartige Einbruch des Kreuzfahrttourismus hat der zivilen Seite unserer Schiffbauindustrie den wichtigsten Markt für mehrere Jahre trockengelegt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir im Neubau kaum noch andere kommerzielle Kunden bedienen. Unsere Kostenstruktur lässt nur noch die Kronjuwelen der Branche zu, neben Kreuzfahrern im Wesentlichen Superyachten, Behörden- und Marineschiffe. Auch im Küsten- und Binnenbereich zählen Frachtschiffe im Grunde nicht mehr zu unserer Angebotspalette. In der Zulieferindustrie sind wir zwar noch deutlich breiter aufgestellt, aber auch hier produzieren wir im high-end Bereich - und auch längst nicht mehr alles in Deutschland. Das Verschwinden maritimer Ikonen sind regelmäßige Mahner.

Es geht aber nicht nur um Kosten, es geht auch um staatliche Rahmenbedingungen. Jahrzehnte der intensiven Schifffahrtsförderung ohne jegliche Verbindung zur industriellen Wertschöpfung rächen sich. Was ist unterm Strich geblieben? Wie steht es um die vielen, insbesondere kleinen Reedereien? Wie ist es um die deutsche Flotte bestellt? Nur zur Erinnerung, einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag für versenkte Schiffsfinanzierungen, allein in den Landesbanken, durften die Steuerzahler bereits tragen. Gebaut wurde fast alles in Fernost.

In der Summe haben wir einen gewaltigen Kapital- und Know-how-Transfer nach Asien organisiert und gleichzeitig enormen Substanzverlust Zuhause hingenommen. Die Ursachenanalyse ist vielschichtig - aber hier soll es um etwas anderes gehen: Wichtig ist, jetzt gemeinsam einen neuen Weg einzuschlagen und Aufbruchsstimmung zu generieren! Das maritime Deutschland verfügt immer noch über enorm viel Know-how. Das Potential müssen wir abrufen. Wir können immer noch vieles besser als unsere Wettbewerber.

Es gibt mehr als genug zu tun: Wir müssen die Schifffahrt dekarbonisieren, wir haben v.a. im Binnen- und Küstenverkehr eine überalterte Flotte; wir haben noch große Ausbaupotentiale in der Offshore-Windenergie; wir brauchen eine Wasserstoffinfrastruktur, inklusive schiffsgebundener Logistik, wir haben große Aufgaben vor uns im Bereich Offshore-Rückbau, wir müssen dringend die tickende Zeitbombe der Munitionsaltlasten im Meer beseitigen, um nur einiges zu nennen.

Europa ist der maritimste aller Kontinente. Es gibt unglaublich viel Binnennachfrage, wenn wir dafür die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Mit verlässlicher Grundlast können wir investieren, Technologieentwicklung schneller vorantreiben, Skaleneffekte realisieren, Know-how und Fähigkeiten sichern und last, not least die Schifffahrt deutlich schneller dekarbonisieren, als es im Rahmen der IMO realistisch ist.

Unser Ziel 2021 lautet: Lasst uns eine Maritime Agenda in Angriff nehmen, die wieder klare Wachstumsperspektiven für unseren maritimen Standort schafft.