Schiffbau Industrie 01/2022

Donnerstag, 9. Juni 2022 - 10:15

Zeit für Industriepolitik!

In der deutschen Schiffbauindustrie sind über 2000 Firmen aktiv.
Sie erzielen etwa 35 Milliarden Euro Umsatz und bieten 200 000 Beschäftigten hochwertige Arbeitsplätze. Beeindruckende Zahlen – allerdings für das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik kein Schwergewicht wie Autos oder Chemie. Die oft betonte strategische Bedeutung der Branche lässt sich nicht allein an den direkten volkswirtschaftlichen Kennzahlen festmachen.

Die maritime Industrie sorgt dafür, dass wir die 70 Prozent unseres Planeten, die mit Meeren bedeckt sind, nutzen können. An Rohstoffen und Energie mangelt es im europäischen Binnenmarkt. Der Seeweg ist darum die Existenzgrundlage für eine global so vernetzte Volkswirtschaft wie Deutschland. Nie wurde das deutlicher als jetzt.

Putins nicht für möglich gehaltener Angriffskrieg auf eine europäische Nation verursacht unfassbares menschliches Leid. Er hat Schockwellen ausgelöst und verkrustete Denkmuster aufgebrochen. Die eben erst gebildete Bundesregierung musste in kürzester Zeit Beschlüsse von enormer Tragweite treffen, aus denen der Rüstungshaushalt in der Wahrnehmung hervorstach. Der so groß erscheinende Betrag von 100 Milliarden Euro relativiert sich schnell, wenn man sich die Friedensdividende von geschätzten 450 Milliarden Euro Einsparungen bei der Bundeswehr vor Augen führt. Tatsächlich sind damit lediglich die bereits in Friedenszeiten identifizierten, aber lange vernachlässigten Fähigkeitsanforderungen der Bundeswehr abgedeckt. Der Umstand, dass die Marine auf 50 Jahre alte Schiffe angewiesen ist, spricht für sich.

Eine vielleicht viel größere Zäsur erleben wir in der Wirtschaftspolitik: Obwohl die strategischen Fehler der Vergangenheit selten so offensichtlich waren, widersteht der Bundeswirtschaftsminister der politisch weitverbreiteten Versuchung, diese auszuweiden, und konzentriert sich stattdessen auf die vor uns liegenden Herausforderungen. In bewundernswerter Klarheit vermittelt Robert Habeck unbeirrbar einen Kurs, der alles andere als leicht verdauliche Kost ist – und das nicht nur für seine Partei.

Der moralische Impuls, den sicher sehr viele Menschen empfinden, verlangt den sofortigen Stopp aller russischen Energieeinfuhren. Wir befinden uns jedoch nicht nur in einer akuten, sondern in einer dauerhaft neuen Lage. Die Konfrontation zwischen Autokratie und Demokratie wird uns noch lange herausfordern. Deshalb ist es sicherlich richtig, alle Maßnahmen klug abzuwägen und eine nachhaltige Schwächung durch impulsives Handeln tunlichst zu vermeiden.

Die schneller steigenden Energiekosten durch die Substitution billiger russischer Energieträger wird die Energiewende beflügeln. Sowohl die kurzfristige fossile Alternative als auch regenerative Lösungen werden künftig noch deutlich stärker als bisher von der maritimen Wirtschaft abhängen. Die rasante Entwicklung rund ums Thema LNG und schwimmende Terminals (FSRU) gibt darauf einen kleinen Vorgeschmack. Die gewaltigen Ausbaubaupläne der Offshore-Windenergie nicht nur in Deutschland dürften diesmal auf verlässlicheren Beinen stehen als vor 15 Jahren. Hinzu kommen zusätzliche Energieimporte von nachhaltigen Energieträgern und der Transport und die Einspeisung von CO 2 in norwegische Kavernen. Last but not least wird sich auch der Umbau der Handelsflotte auf klimaneutrale Schifffahrt nicht auf die lange Bank schieben lassen.

Um nicht nahtlos von einer autokratischen Abhängigkeit in die nächste zu fallen, muss die Energiewende verlässlich und planbar auch eine Wertschöpfungswende enthalten. Wer Chinas Staatspropaganda verfolgt, kann daran eigentlich keinen Zweifel haben.