Schiffbau Industrie I/2020

Donnerstag, 10. September 2020 - 9:00

Stunde der Macher

Diese erste echte Pandemie in der globalisierten Welt lässt keine Regierung und kein Unternehmen unberührt. Die Auswirkungen in ihrem Umfang und ihrer Vielfalt hätte niemand voraussagen können.

Ganze Branchen, die gestern noch kerngesund und hochprofitabel waren, müssen tiefgreifende Restrukturierungen vornehmen, wenn sie eine Zukunft haben wollen. Eine Welt aus krassen Gegensätzen hat sich aufgetan: Lieferando statt Lieblingsitaliener, Camping statt Cluburlaub, Fahrrad statt Flugzeug. In der maritimen Industrie ist die gestiegene Beliebtheit des Urlaubs auf dem eigenen Segelboot eine gute Nachricht für die Bootswerften. Als Ersatz für den Ausfall der Bestellungen aus dem Kreuzfahrsegment kann diese Nachfrage aber leider nicht viel ausrichten. Und nicht nur dort fehlen die Kunden. So gut wie alle kommerziellen Marktsegmente sind durch extrem schwache Nachfrage geprägt. Marine- und Behördenschiffe bilden zum Glück einen verlässlichen Sockel. Wenigstens kommt dem Schiffbau in Europa zugute, dass vor Ausbruch der Pandemie die Auftragsbücher vielerorts gut gefüllt waren, sodass die Arbeit nicht unmittelbar ausgeht. Das sieht in vielen asiatischen Werften schon ganz anders aus. Dort liefen schon letztes Jahr eine Reihe von Werften leer.

Doch unser Produktionsportfolio in Deutschland aus komplexen Spezialschiffen erfordert auch deutlich längere Vorlaufzeiten. Mit dem Bau des 100. Frachtschiffes einer Serie kann eine Werft morgen beginnen, während die Erstellung der Konstruktionspläne für einen komplexen Prototypen oft deutlich mehr als ein Jahr in Anspruch nimmt. Darum ist auch bei uns Eile geboten, um Lösungen zur Überbrückung des Nachfragelochs zu finden. Die Nachfrage wird sich erholen, da sind sich alle Experten einig. Aber bis es soweit ist, wird uns die Durststrecke noch einiges abverlangen.

Die Parlamentarier und Ministerien in Berlin und in den Ländern haben beeindruckende Arbeit geleistet und Deutschland bisher gut durch den Sturm geführt. Auch die spezifische Problematik der maritimen Industrie wurde erkannt und berücksichtigt. Die Bemühungen um die beschleunigte Vergabe öffentlicher Aufträge wird mit Hochdruck vorangetrieben. Allerdings muss auch allen Beteiligten klar sein, dass öffentliche Aufträge allein nicht reichen werden. In Deutschland summiert sich die Produktion von zivilen Seeschiffen auf über 3 Mrd. € pro Jahr. Zusammen mit Marine- und Binnenschiffen, Reparatur und Umbau und dem oben erwähnten Bootsbau steht das doppelte zu Buche. Ohne kommerzielle Kunden kann dieses Volumen und damit Beschäftigung für 200.000 gut ausgebildete Fachkräfte nicht aufrechterhalten werden.

Damit der Wumms aus dem Konjunkturprogramm kurzfristig Wirkung erzielen kann, sollen in erster Linie vorhandene Förderinstrumente verstärkt werden. Auch das sind willkommene Ansätze, zweifelsohne. Um spürbar mehr Aufträge zu stimulieren wären allerdings ganz andere Förderquoten nötig. Die Programme zielen richtigerweise auf saubere oder innovative Schiffe ab. Dies aber erhöht auch den Aufwand für den Reeder, der sich in der aktuellen Marktlage oft nicht darstellen lässt. Der VSM hat darum vorgeschlagen, ein europäisches Flottenprogramm aufzulegen, das durch eine ausreichende Förderhöhe mehr umweltfreundlicher Schiffe für Verkehre innerhalb Europas in Fahrt kommen. Die umfangreichen Mittel des europäischen Konjunkturprogramms wären dort mehr als sinnvoll eingesetzt. Ob die europäische Maschinerie es schafft hierfür zügige Umsetzung zu sorgen? Eine gewaltige Herausforderung, aber auch eine tolle Chance, den Menschen zu zeigen, dass Europa funktioniert, wenn es darauf ankommt. Wenn die Pandemie eines gelehrt hat, dann wie schnell die Dinge bewegt werden können, wenn es nötig ist. Es ist bisher die Stunde der Macher. Hoffentlich bleibt das noch eine Weile so.

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